GeFühle fetzen

Ich bin nicht gut genug


Jonas

17 Jahre – mag keine Fehler


«Die wollen alle Eis essen gehen, aber ich will nach Hause. Ich muss mir die korrigierte Klausur noch mal genau angucken und in zwei Wochen schreiben wir Geschichte. Ich muss unbedingt anfangen zu lernen.»

Wie konnte das passieren? Alles, was ich machen sollte, war, von der Funktion f die Ableitungsfunktionen f‘ und f‘‘ zu bilden, und ich Idiot vergesse das Quadrat! Dabei weiß ich es richtig. Ich hab keine Ahnung, wie das passieren konnte.

Als mir unsere Mathelehrerin lächelnd die Klausur zurückgibt, sagt sie: „Jonas, du hast eine der besten Arbeiten geschrieben.“  Aber eben nicht die beste, es waren nur 13 Punkte, keine 15. So ein Scheiß. Ja ich weiß, andere wären froh. Aber ich bin nicht andere. Und es war zu einfach, um Fehler zu machen. Wenn ich später studieren will und ich mache solche Fehler, werde ich das nie schaffen.

Danach, in der Pause, frage ich die anderen, ob sie die Frage richtig beantwortet haben. Nee hat keiner. Ich erkläre ihnen, wie es richtig gewesen wäre. Aber keiner hört zu. „Ist doch jetzt eh vorbei“, sagen Ben und Marie, mit denen ich vor den Klausuren immer lerne. Jetzt kommen die bestimmt nie wieder zu mir, wenn mir solche Fehler passieren.

Die wollen alle Eis essen gehen, aber ich will nach Hause. Ich muss mir die korrigierte Klausur noch mal genau angucken, und in zwei Wochen schreiben wir Geschichte. Ich muss unbedingt anfangen zu lernen. Als ich das sage, verdreht Ben die Augen: „Mach dich mal locker und komm mit!“ Ich trotte ihnen hinterher. Bestimmt haben die mich nur aus Mitleid gefragt.

Dann sitze ich mit meinem Eis da, hab gar keinen Appetit und hab die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht nach Hause gegangen bin. So werde ich die Geschichtsklausur nie packen! Ich schlinge das Eis in mich rein und hau ab.

Zu Hause fragt mich meine Mutter nach der Klausur und freut sich total. Aber sie hat keinen Schimmer von Ableitungen und wie einfach das eigentlich ist. Meine Eltern erzählen immer all ihren Freunden, wie schlau ich bin. Die haben einfach keine Ahnung. Ich war zu blöd für einfachste Ableitungen – den absoluten Baby-Mathekram!

Eltern

Als mir unsere Mathelehrerin lächelnd die Klausur zurückgibt, sagt sie: „Jonas, du hast eine der besten Arbeiten geschrieben.“  Aber eben nicht die beste, es waren nur 13 Punkte, keine 15. So ein Scheiß. Ja ich weiß, andere wären froh. Aber ich bin nicht andere. Und es war zu einfach, um Fehler zu machen.

Du musst nicht immer die beste Note mit nach Hause bringen oder der Beste in der Klasse sein. Wir wissen, dass du sehr schlau bist, und daran ändert sich auch nichts, weil du in einer Klausur nicht die volle Punktzahl holst. Es gibt auch noch andere wichtige Dinge im Leben. Vor allem sollst du dein Leben genießen und auch an und nach der Schule Spaß haben.

Ben, Freund

Bestimmt haben die mich nur aus Mitleid gefragt.

Echt jetzt? Du spinnst ja. Aber manchmal tust du mir echt leid. Du bist superschlau und supergut und kannst dich kein bisschen freuen. Sieh mich an. Ich bin schon froh, wenn ich es in Mathe mal auf eine Drei bringe, so wie mein Vater früher in der Schule. Und du weißt, der ist heute selber Mathelehrer.

Wenke M., Psychotherapeutin

Dann sitze ich mit meinem Eis da, hab gar keinen Appetit und hab die ganze Zeit ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht nach Hause gegangen bin. So werde ich die Geschichtsklausur nie packen! Ich schlinge das Eis in mich rein und hau ab.

Puh, dein Leben hört sich ganz schön anstrengend an, lieber Jonas. Immer der Beste sein zu müssen, andauernd ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn du mal nicht lernst und nur dann zufrieden zu sein, wenn alles absolut perfekt gelaufen ist? Das muss ganz schön viel Druck machen. Spaß macht das sicherlich nicht. Ich habe das Gefühl, dass dich der Perfektionismus gefangen hält. Vielleicht liege ich auch völlig falsch, aber kann es sein, dass es auch ganz schön sein könnte, wenn du dich auch über 13 Punkte freuen und das Eis essen mit deinen Freunden genießen könntest? Hör einfach mal in dich hinein … Vielleicht gibt es ja einen Teil in dir, dem das Perfekt-sein-müssen zu anstrengend wird. Wenn du Hilfe sucht, kannst du dich an einen Schulpsychologen oder an eine Beratungsstelle wenden.

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